Was beim Trampen noch so alles schief gehen kann.


Teil 2


Nach der Beendigung des Heaphytracks verbrachten wir endlich wieder eine Nacht in einer gemütlichen Unterkunft, nämlich dem hippieesquen Hostel namens Rongo.



Aufgrund des angehenden Luminate-Festivals befanden sich fast alle potentiellen Backpacker auf dem Weg zum Takaka Hill, im Hostel selbst gab es nur noch zwei weitere Backpacker. Wir hatten also die gesamte Unterkunft für uns allein, eine Radiostation, die wir bespielen durften und eine Küche zum Ausleben. Während wir unser erstes vernünftiges Abendessen bereiten, lerne ich Julia kennen, welche bei uns im Zimmer übernachtet und zusammen mit Ernst, einem Studenten aus (ja!) Jena für einen Tag im Hostel bleibt. Wie es der Zufall will, fährt Ernst am nächsten Morgen nach Greymouth und hat noch 3 Plätze frei, weshalb er uns anbietet, uns ein Stück mitzunehmen, um von Westport aus zurück nach Nelson zu trampen. Wir sind superglücklich und genießen das Abendbrot, Nudeln mit Gemüsetomatensauce, gleich doppelt so sehr.
Beim Abwasch lerne ich Julia etwas besser kennen. Eine australische Fotografie-Studentin, die für ein paar Wochen in Neuseeland reist und überlegt, zum Luminate-Festival zu gehen, weshalb auch sie nach Nelson trampen möchte. Ich erzähle ihr von meiner Trampmisere ein paar Tage zuvor, und während wir uns beide Schlapplachen kommen wir zum Entschluss, zusammen zum Festival zu trampen in der Hoffnung, dass ein Typ mit einer hübschen Dame leichter mitgenommen wird und nicht wieder sieben Stunden braucht. Ich freu mich schon und bin froh, nicht allein reisen zu müssen.






Am nächsten Morgen geht es früh um 9 los. Auf der Fahrt nach Westport haben Ernst und ich Zeit, uns über unsere Reiseerfahrungen und vor allem die Zeit in und um Jena auszutauschen und stellen fest, wie selten man Menschen aus dem Osten Deutschlands über den Weg läuft. Umso mehr freuen wir uns und genießen die Fahrt.
Nachdem wir gegen 11 Uhr in Westport rausgelassen werden, beginnt der zweite Teil meiner großen Tramperchause, die mir meine Lachmuskeln kräftig durchtrainieren sollte.
An einem vermeintlich guten Spot werden Julia und ich rausgelassen und wollen unser Glück versuchen. Mit einem selbstgebastelten Schild (mit einem Kiwi drauf!) versuchen wir an einer Kreuzung die vorbeifahrenden Autofahrer/innen zu überzeugen, uns mitzunehmen. Wir haben viel Zeit, uns auszutauschen und diskutieren über unsere Tramperfahrungen, Zukunftsmöglichkeiten und Wes-Anderson Filme. Nachdem nach gut 30 Minuten ENDLICH ein Auto anhält und uns offenbart, das wir an einem denkbar schlechten Ort stehen und er uns zu einem Platz bringt, wo "wesentlich mehr Autos in unsere Richtung fahren", hüpfen wir rein. Oder sagen wir, quetschen uns rein, denn ich habe ziemlich viel Gepäck dabei und der Kofferraum des Wagens ist bereits prall gefüllt mit uralten Büchern. Julia schafft es irgendwie, ihr Zeug dort unterzubringen, aber ich beschließe, es lieber auf der Rückbank abzustellen, da sollte ja Platz sein.
Denkste: die Rückbank ist voll mit Büchern, riesigen Pappkartons und einem leeren, alten Kanarienvogelkäfig! (!!) Ich schiebe meinen Rucksack irgendwie rein, während Julia in prallem Gelächter ausbricht als sie sieht, wie ich neben dem Rucksack noch nach Luft schnappe. Anschnallen? Keine Chance! Ich kann noch nicht mal die Tür schließen, doch das macht der nette Musiklehrer, der uns für die nächsten paar Minuten als Chauffeur dienen soll. Während wir also losfahren und ihn über seine Lehrertätigkeit ausfragen, ich nach Luft ringe und Julia nicht aufhören kann zu grinsen, höre ich auf einmal eine meiner Lieblingsbands spielen.


"Oh, 'The Police'", denke ich laut, als der Lehrer panisch das Lenkrad rumreist und auf die Glötzer geht. "Wo?" fragt er.
"Ehh, ich meinte die Band, da kommt 'Roxanne' im Radio." Der Lehrer entspannt "Oh! Die gefallen mir wesentlich besser, denn mein WOF (sowas wie der deutsche TÜV) ist seit kurzem abgelaufen."
Mein Bauch beginnt zu vibrieren vor unterdrücktem Lachen.
Nachdem wir noch ein paar Extrakilometer mitgenommen werden, da der Lehrer unsere Unterhaltung so sehr mag, lässt er uns kurz hinter einer Baustelle heraus, ein vermeintlich guter Platz, um mitgenommen zu werden.
Julia und ich positionieren uns gegenüber einer Art Imbiss und freuen uns guter Dinge auf die nun kommenden Autos, die ja "wesentlich häufiger in unsere Richtung" fahren.
Nach 10 Minuten hören wir das erste Auto. Julia und ich springen auf die Straße voller Erwartung, doch es sollte sich herausstellen, dass es ein kleiner Laster ist, der von der nahegelegenen Baustelle nur den Dreck wegbringt. Er lächelt uns zu und symbolisiert uns, dass er leider keinen Platz hat. Wir grinsen zurück und zucken mit den Schultern, es kann ja nicht mehr lange dauern.
Nachdem eine Reihe von Autos einfach an uns vorbeigefahren ist beschließen wir, uns ein schattiges Plätzchen zu suchen, wo man uns auch besser sehen kann, stehen wir doch leicht hinter der Kurve. Wir erzählen über Ghibli-Filme, unsere Reisen und allerlei Zeug, als wir wieder ein Auto hören. Wieder springen wir auf,  und wieder ist es der Typ mit dem Laster, der seinen Dreck wegbringt. Wieder strecken wir den Daumen aus und wieder grinst er.
Wir grinsen zurück und zucken mit den Schultern, es kann ja nicht mehr lange dauern.
Nach ca. drei Stunden neigt sich der Schatten dem Ende, der Lastwagenfahrer kam mittlerweile zum 8. Mal vorbei und uns gehen nach diversen Tanzeinlagen, Rollenspielen mit dem selbstgebastelten Pappschild von Bran & Sultana-Cornflakes und anderen kreativen Ausdrucksformen die Ideen aus. Aber: wir grinsen noch immer.



Es ist mittlerweile fast 4 Uhr und wir geben schon die Hoffnung auf, in Nelson anzukommen, als auf einmal ein Auto anhält. Eine Mutter mit ihrem Sohn holen ein weiteres Kind vom Flughafen in Nelson ab: STRIKE!
Die Fahrt wird von einer nicht funktionierenden Lüftung getrübt, aber mit einem Sprung ins Schwimmloch an einem Fluß lässt sich die Hitze schnell in den Griff bekommen. Die Kiwis sind glücklicherweise sehr unkompliziert: wir springen in Unterwäsche ins kühle Nass und freuen uns über die Abkühlung.



Nach 3 Stunden Fahrt und interessanten Unterhaltungen über kulturelle Unterschiede, Musik und Familie erreichen wir Nelson gegen 6 Uhr. Wieder einmal sind es 7 Stunden, ich grinse.
Wir beschließen, zusammen indisch essen zu gehen, nachdem wir den ganzen Tag nur ein paar (unfassbar schmackhafte) Orangen zu uns nehmmen konnten. Der Abend ist herrlich und läd dazu ein, zum Center of New Zealand zu gehen und den Sonnenuntergang anzuschauen.





Wir wandern noch den ganzen Abend umher, erzählen, lachen und lassen die Gedanken treiben. Ich fühle mich ein bisschen wie Ethan Hawke, der mit Julie Delphi durch Wien oder Paris schlendert und von einer romantischen Episode in die nächste torkelt. Wir beschließen, den darauffolgenden Tag ebenfalls gemeinsam zu verbringen. Ich zeige ihr Nelson, gemeinsam bewandern wir den naheliegenden Fluß und entdecken ein gemütliches kleines französisches Café mit schmackhaften Crepes.
Aufgrund des Zeitmangels und einem wichtigen Termin in Wellington muss Julia aber das Luminate absagen, weshalb sich unsere Wege am Tag darauf in Nelson trennen. Mit einer dicken Umarmung trennen sich unsere Wege und unsere zweitägige Reiseepisode endet hier. Glücklich und traurig zugleich trampe ich erneut, um wieder nach Takaka zu kommen, diesmal sollte es wesentlich einfacher sein. Noch immer grinse ich und lache manchmal laut los, wenn ich The Police höre, eine Rosine (Sultana) im Müsli finde oder eine Baustelle sehe.

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